Die Dali-Kollision: Drei Experten teilen ihre Analysen
Drei Fachleute aus der maritimen Branche – ein Schiffstechniker, ein Containerschiff-Kapitän und ein Sachverständiger für Schiffsmaschinenanlagen – bieten tiefgreifende Einblicke in die Ursachen der jüngsten Tragödie, bei der das Containerschiff Dali eine Brücke rammte.
Der Vorfall mit dem Containerschiff Dali, das in Baltimore mit einer Brücke kollidierte, hat viele Fragen aufgeworfen. Drei maritime Experten haben nun ihre Einschätzungen geteilt und beleuchten die komplexen Hintergründe, die zu dem Vorfall führten. Ihre Analysen umfassen mögliche technische Mängel, die Rolle menschlicher Entscheidungen und die Bedeutung von Notfallprotokollen an Bord großer Frachtschiffe. Diese Fachleute bieten einen seltenen Einblick in die Herausforderungen der Seefahrt und diskutieren, was möglicherweise schiefgelaufen ist.
Hier sind die Einschätzungen:
(dies sind die originalen Zuschriften, lediglich Grußformeln wurden entfernt)
Einschätzung Nummer 1: Daniel, Schiffstechniker auf einem Kriegsschiff und zivilem Boot
ich war jahrelang als Schiffstechniker auf einem Kriegsschiff & des Weiteren noch etwas auf einem zivilen Boot unterwegs.
Ich werde ein bisschen ausholen.
Die „Dali“ war auf einer sogenannten „Revierfahrt“. Revierfahrten sind immer dann, wenn man sich in den Hoheitsgewässern, also innerhalb der 12 Seemeilengrenze befindet. Bei diesen Fahrten wird oder sollte - ich kann nur für meine Erfahrungen sprechen - der Rudermaschinenraum besetzt, um das Ruder bei Problemen, wie einem „Ruderversager“, notfalls per reiner Muskelkraft zu steuern, was natürlich in der mechanischen Umsetzung viel länger dauert, als im Normalfall. Ob das allerdings auch bei riesigen Containerschiffen der Fall ist, kann ich nicht sagen. Des Weiteren wird der Anker klar zum fallen gemacht, d.h., dass er sehr schnell zu Wasser gelassen werden kann, um das Schiff auf die schnellste Art zum stehen zu bringen. Allerdings stimmt es zu 100%, was der Mann in eurem verlinkten Telegramvideo sagt, dass die wichtigsten Komponenten über eine USV (unterbrechungsfreie Spannungsversorgung) laufen & die Pumpen um 0 Uhr umgestellt werden, ungerader Tag Pumpe 1, gerader Tag Pumpe 2. Jedoch ist euer Text dazu nicht korrekt. Es gibt nicht zwei Ruder, sondern nur zwei Pumpen, die das eine Ruder ansteuern. Bei uns liefen auch immer beide Pumpen über die USV. Wenn jedoch wie im Video bei der Dali, welche ihr Unglück am 26.03. hatte, die Pumpe 2 lief (gerader Tag) & es zu einem TLF (total electrical failure) kam, dann funktionierte das Ruder nicht mehr, jedoch sollte dann die Notstrompumpe schnellstmöglich starten, bzw. gestartet werden. Allerdings ist/sollte der Rudermaschinenraum genau deshalb immer besetzt sein, um dann händisch einzugreifen. Um tatsächlich genaueres sagen zu können, müsste man die Praxis & die Gegebenheiten auf der „Dali“ kennen. Es war ein Lotse (Kennen ihre Häfen wie ihre Westentasche) an Bord & es war eine Revierfahrt (erhöhte Sicherheitsvorkehrungen & -maßnahmen, d.h. auch, dass sämtliche „Manöverstationen“ besetzt sind, um schnell zu handeln). Die Crew soll den Anker auch geworfen haben. Auf den Videos ist zu sehen wie der Strom ausfällt & dann schwarzer Rauch aufsteigt, das deutet darauf hin, dass ein weiter E-Diesel (Dieselmotor zur Stromerzeugung) angemacht wurde, der die Stromversorgung sicherstellen soll. Was da genau passiert ist, wissen nur die Leute vor Ort, ob Absicht oder Unfall, kann man extern nicht sicher feststellen. Jedenfalls wurden, soweit erkennbar, Maßnahmen ergriffen, um dem Chaos entgegenzuwirken.
Die einzige Unstimmigkeit ist die kurzfristige Kursänderung kurz vor dem Crash. Das Schiff war auf geradem Kurs, selbst wenn es dann zu unvorhersehbaren Problemen kommt, ändert ein Schiff nicht so schlagartig seinen Kurs.
Einschätzung Nummer 2: Christoph, Containerschiff-Kapitän
Ich bin Kapitän und seinerzeit auch auf vergleichbaren Containerschiffen gefahren.
Zwar haben Schiffe gewisse Redundantsysteme, aber eine Garantie ist das nicht.
Die Dali wird einen Zweitaktmotor haben, der direkt auf den Schiffspropeller geht. Dahinter ist dann ein Ruder, das über eine Rudermaschine mit zwei Pumpen angetrieben wird. Fällt eine Pumpe aus, kann die zweite Pumpe übernehmen.
Ein Schiffsruder erzielt übrigens nur eine brauchbare Wirkung, wenn es direkt durch den Propeller angeströmt wird. Fällt also die Hauptmaschine des Schiffes aus, bleibt der Propeller stehen, das Ruder nicht mehr angeströmt und es wird keine brauchbare Ruderwirkung erzielt, auch wenn das Ruder selbst vllt tadellos funktioniert.
Dass eine Hauptmaschine oder auch ein Dieselgenerator (zur Stromerzeugung) ausfällt, kann viele Ursachen haben und ich habe das selber schon etliche Male erlebt. Das ist an sich also nicht so außergewöhnlich. In der Regel passiert sowas aber eben auf hoher See und ist daher unspektakulär.
Dass sich dieser Unfall quasi nach dem Ablegen ereignet hat, ist aber nicht weiter verwunderlich. Wenn die Kollegen in Baltimore etwas Liegezeit hatten, dann werden die an der Hauptmaschine oder am Dieselgenerator Wartungsarbeiten durchgeführt haben, was natürlich auch immer eine Fehlerquelle sein kann. Und manchmal hat man einfach Pech. Wir sind in Dakar mal in eine Pier gefahren, weil die Hauptmaschine nicht umgesteuert hat. Dazu muss man wissen, dass diese Hauptmotoren in zwei Richtungen laufen können. Vorwärts und rückwärts. Fährt man also voraus, stoppt man zunächst den Motor. Anschließend wird dann die Nockenwelle um 180 Grad verstellt und schließlich springt dann der Motor mit entgegengesetztem Drehsinn wieder an. Bei uns war jedoch ein simples Ventil undicht und hat daraufhin diesen gesamten Prozess gestoppt. Liegt ein technischer Defekt vor, kann man in der Regel auch nicht so schnell intervenieren. Man muss ja nur mal recherchieren, wie viele Schiffe schon in die Schleusentore im Nord-Ostsee-Kanal gefahren sind...
Ich bin jedenfalls der festen Überzeugung, dass es sich im Falle der Dali einfach um ein tragisches Unglück handelt - wobei man ja eigentlich noch Glück hatte. Wäre dieser Unfall zur Rush Hour passiert, hätte man hunderte Tote beklagen müssen.
Einschätzung Nummer 3: Frank, Sachverständiger für Schiffsmaschinenanlagen
Was Daniel beschreibt ist größtenteils richtig.
Folgendes Korrekturen:
Das Ruder eines Frachtschiffes kann nicht mit Muskelkraft bewegt werden.
Richtig ist, dass in Rudernaschinenraum das Ruder teilmanuell mit Druck Knöpfen direkt an den beiden Hydtauöikpumpen betätigt werden kann. Dazu muss aber mindestens eine Hydraulikpumpe, zB mit Notstrom, laufen.
richtig ist, dass bei Revierfahrt üblicherweise zB der Maschinenkontrollraum trotz des üblicherweise wachfreien Automatikbetriebes besetzt ist. Der Radermaschinenraum gehört allerdings nicht dazu und die Ankerbeteotschaft gehört auch nicht zu den Standard Vorkehrungen - beides ist aber relativ schnell möglich.
Dass Verwunderlichste ist für mich, dass der Blackout so lange dauert. Bei einem Blackoutc startet SOFORT automatisch ein Hilfdorsel oder eben notfalls der Notdiesel. Und zwar innerhalb von Sekunden oder schneller. Die wird immer wieder getestet und auch geprüft (vom 'Schiffstüv' der Klassifikation).
Mein Verständnis - von einem Unfall ausgehend - wäre: als dann nach ungewöhnlich langer Zeit wieder elektrische Energie zur Verfügung stand, drehte das Ruder schnell nach Steuerbord, weil das Steuer zB so eingestellt war, dann gab es wieder Blackout oder so und der Kurs war nun schon so weit nach Stb übergegangen. Kurz vor der Kollision kommt der Bug nochmal leicht nach Backbord - aber zu spät.
Es gibt sehr viele Möglichkeiten was passiert Sinn könnte. Daniel beschrieb zB richtig
Kleiner Fehler hier oben in dem Translript: nicht zwei Ruder sondern zwei Ruder MASCHINEN. Gesprochen ist richtig Stearing GEAR. Und er nennt sich gleich einen möglichen Fehler: nur SG Nr. 1 ist am Notstrom Generator angeschlossen! - auch das lässt sich natürlich in Sekunden einschalten - wenn man es weiß!
Also: jmd hält sich an einen geraden Tag an der Regel SG2 läuft. Dann Hafen, keiner schaltet um, Blackout, keiner weiß oder denkt dran dass nur Nr.1 an Notstrom hängt....
natürlich nur EINE von 1000 Mglktn und auch nur auf DIESEM Schiff genau SO!!
Bei dem Containerschiff das in der Elbe quer lag war die Verkabelung der SG-Not Funktion fälschlich über Kreuz angeschlossen und bis zur Havarie nicht aufgefallen.... usw usw.
FAZIT:
Zusammengefasst, bieten die Einschätzungen der Experten - des Schiffstechnikers Daniel, des Kapitäns Christoph und des Sachverständigen Frank - ein umfassendes Bild der technischen und operativen Herausforderungen, mit denen die Besatzung der Dali konfrontiert war. Gemeinsamkeiten in ihren Meinungen sind:
Bedeutung von Redundanz- und Notfallsystemen: Alle Experten betonen die Wichtigkeit von Redundanzsystemen und der Möglichkeit, im Notfall manuell eingreifen zu können.
Risiken bei technischen Defekten und Wartungsarbeiten: Die Risiken, die durch technische Defekte und Wartungsarbeiten entstehen, werden sowohl vom Kapitän als auch vom Sachverständigen als signifikante Faktoren für mögliche Unfälle betrachtet.
Problematische Blackout-Szenarien: Das ungewöhnlich lange Blackout und die damit verbundenen Probleme bei der Wiederherstellung der elektrischen Energie werden besonders vom Sachverständigen als kritisch angesehen.
Bewertung eher als tragisches Unglück: Die Experten sind sich einig, dass das Geschehen eher als ein tragisches Unglück betrachtet werden kann, bei dem verschiedene Faktoren eine Rolle spielten, aber wahrscheinlich keine absichtliche Handlung vorlag.